Geschichte des Instituts für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie

Profil

Das Profil des Instituts für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie hat sich im Lauf der Geschichte immer wieder verändert, bedingt durch den Wandel der Zeit und die Impulse der Professor*innen. Konstant durchgehalten hat sich der Anspruch, die Alttestamentliche Wissenschaft in der Lehre in der gesamten Breite zu vertreten und den Studierenden so umfassende Einblicke zu ermöglichen. In der Forschung haben die verschiedenen Professor*innen unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt: Seit den Anfängen bis heute wurden und werden philologische, historische, archäologische, religionswissenschaftliche, theologische und literaturwissenschaftliche Fragestellungen verfolgt, häufig in engem Austausch mit Nachbardisziplinen.

In der jüngeren Geschichte und der Gegenwart profiliert sich das Institut auch durch eine Vertrautheit mit nicht-europäischen Wissenschaftstraditionen (Südafrika, Amerika, Israel) und eine Offenheit, neben historisch-kritischen Methoden auch weitere Methoden und Zugänge auszuprobieren. Inhaltlich liegt der Forschungsschwerpunkt zurzeit in den Bereichen poetische Bücher (Weisheit, Psalmen, Klagelieder, Hohelied), Priesterschrift und alttestamentliche Anthropologie.

Geschichte

Die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Wien wurde 1821 gegründet und 1922 in die Universität Wien eingegliedert.

Professor*innen

Johann Georg Wenrich (1821–1847)

Johann Georg Wenrich (geb. 13.10.1787 in Schäßburg/Siebenbürgen; gest. 15.5.1847 in Wien) wurde 1821 von Kaiser Franz I. als erster Exeget an die neu gegründete protestantisch-theologische Lehranstalt berufen, und zwar für „Exegese augsburgischer Confession“ (zu dieser Besonderheit der Anfänge der Exegese in Wien, siehe unten). Studiert hatte Wenrich in Hermannstadt und Wien (Theologie, Philosophie, semitische Sprachen). Vor seiner Berufung nach Wien wirkte er als Professor und Rektor am Lyceum in Hermannstadt; hier unterrichtete er Hebräisch, Griechisch, Lateinisch, Philosophie und Mathematik.

Wenrich war ein hervorragender Philologe und pflegte intensive Kontakte mit anderen Orientalisten. Er studierte auch Sanskrit und hielt darüber in Wien die ersten Vorlesungen; 1846 betraute ihn die Londoner Bibelgesellschaft mit der Herausgabe einer hebräischen Bibel. Und genau einen Tag vor seinem Tod wurde er 1847 zum Mitglied der neu errichteten Akademie der Wissenschaften in Wien ernannt.

Die wichtigsten Publikationen von Wenrich erschienen gegen Ende seines Lebens: De auctorum Graecorum versionibus et commentariis Syriacis, Arabicis, Armeniacis Persicisque commentatio (1842); De poeseos Hebraicae atque Arabicae origine, indole, mutuoque consensu atque discrimine commentatio (1843); Rerum ab Arabibus in Italia insulisque adjacentibus, Sicilia maxime, Sardinia atque Corsica gestarum commentarii (1845), zwei davon erhielten angesehene Preise.

Johann von Patay (1822–1850)

Johann von Patay (geb. 4.6.1778 in Janossy/Ungarn, heutige Slovakei; gest. 25.12.1854 in Várpalota/Ungarn) wurde 1822 von Kaiser Franz I. als Professor für „Exegese helvetischer Confession“ berufen, fast zwei Jahre nach seinem „augsburgischen“ Kollegen Wenrich. Die Berufung verzögerte sich, weil es schwierig war, geeignete Kandidaten zu finden (für Details siehe unten). Nach dem Studium der Theologie in Sarospatak/Ungarn, Jena und Göttingen wirkte Patay zunächst als Gymnasiallehrer und Prediger, bevor er Professor in Wien wurde, wo er daneben auch noch als Pfarrer für die ungarisch-reformierte Gemeinde wirkte. Neben Reden ist lediglich ein Beitrag für die Feier des Geburtstages des Kaisers im Jahr 1828 bekannt (Commentatio philologico-critica de origine et elementis Hellenismi sacri scriptorum oraculorum divinorum Novi Foederis).

Georg Gustav Roskoff (1850–1884)

Georg Gustav Roskoff (geb. 1814 in Pressburg/Slowakei; gest. 1889 in Obertressen bei Bad Aussee/Steiermark) wurde 1850 zum ordentlichen Professor für alttestamentliche Exegese und biblische Archäologie beider Konfessionen ernannt; vorher hatte er in Wien schon sein (in Halle begonnenes) Studium abgeschlossen und wirkte als Privatdozent für biblische Exegese. Roskoff blieb bis zu seiner Emeritierung 1884 in Wien; ab 1861 hielt er auch Vorlesungen zur christlichen Ethik, einige Jahre wirkte er als Dekan.

In der Alttestamentlichen Wissenschaft machte sich Roskoff durch seine religionshistorischen Publikationen einen Namen. Sein wichtigstes Werk ist eine zweibändige Studie Geschichte des Teufels (1869); weitere wichtige Publikationen sind Die hebräischen Alterthümer in Briefen (1857), Die Simsonssage nach ihrer Entstehung, Form und Bedeutung und der Heraclesmythus (1860). Roskoff wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit der Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg (1852) und dem Orden der eisernen Krone. Neben der Wissenschaft engagierte sich Roskoff beim Aufbau des Evangelischen Waisenversorgungsvereins in Wien.

Wilhelm Philipp Friedrich Ferdinand Lotz (1884–1897)

Wilhelm Philipp Friedrich Ferdinand Lotz (geb. 12.04.1853 in Kassel; gest. 30.12.1928 in Erlangen) wurde 1884 aufgrund seines jungen Alters vorerst als außerordentlicher Professor für alttestamentliche Exegese und biblische Archäologie nach Wien berufen. Studiert hatte Lotz in Göttingen und Leipzig, in Leipzig wurde er auch promoviert und habilitiert. In Wien überzeugte Lotz durch seine wissenschaftlichen und pädagogischen Leistungen und wurde daher noch im Dezember 1884 zum ordentlichen Professor ernannt. 1897 verließ er Wien und nahm einen Ruf an der Universität Erlangen an, wo er bis zu seiner Emeritierung 1925 lehrte.

Zu den wichtigsten Publikationen Lotz zählen Die Prisma-Inschrift des assyrischen Königs  Tiglathpilesers I (1880); Questiones de historia Sabbati (1883); Geschichte und Offenbarung im Alten Testament (1891); Die Bundeslade (1901); Das Alte Testament und die Wissenschaft (1905); Die biblische Urgeschichte (1907); Hebräische Sprachlehre (1908); Abraham, Isaak und Jakob (1910).

Ernst Sellin (1897–1908)

Ernst Sellin (geb. 26.5.1867 in Alt Schwerin/Mecklenburg; gest. 1.1.1946 in Epichnellen/Thüringen) wurde 1897 nach Wien berufen. Studiert hatte er in Rostock, Erlangen und Leipzig (Theologie und Orientalistik). Die Stelle in Wien war seine erste Professorenstelle. Nach elf Jahren wechselte er zunächst an die Universität Rostock, später nach Kiel und Berlin.

Sellin war ein herausragender Gelehrter. Inhaltliche Schwerpunkte seiner Tätigkeit waren die Erforschung der israelitischen und jüdischen Religionsgeschichte (z.B. über Mose und die Prophetie) und die Palästinaarchäologie (Grabungen in Tell Taannek, Jericho und Sichem; ausführlicher dazu s.u.). Aus der Wiener Zeit stammen die folgenden Publikationen: Studien zur Entstehungsgeschichte der jüdischen Gemeinde (1901); Tell Ta‘annek. Bericht über eine mit Unterstützung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften und des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht unternommene Ausgrabung in Palästina (1904); Das Rätsel des deuterojesajanischen Buches (1907). Eigens hervorzuheben ist Sellins Einleitung in das Alte Testament (1910), die in 12 Auflagen bis 1979 immer wieder neu aufgelegt wurde (in späterer Zeit aktualisiert durch Leonhard Rost und Georg Fohrer).

Nach dem Weggang Sellins aus Wien wurde der Lehrstuhl 1908–1909 durch den Privatdozenten Johann Hermann vertreten. Hermann wurde später ordentlicher Professor für Altes Testament und Hebräische Philologie an den Universitäten Breslau, Rostock und Münster.

Friedrich (Fritz) Wilke (1909–1954)

Fritz Wilke (geb. 7.2.1879 in Greifenberg/Deutschland; gest. 2.12.1957 in Wien) wurde 1909 als außerordentlicher Professor nach Wien berufen und hier 1910 zum ordentlichen Professor ernannt. Studiert hatte er in Halle und Greifswald (Theologie und orientalische Sprachen). 1913 bekam Wilke einen Ruf nach Basel, er zog es aber vor, in Wien zu bleiben. Hier hatte er 1930–1945 auch einen Lehrauftrag für hebräische Sprache und Altertumskunde an der philosophischen Fakultät. Mehrfach wirkte er als Dekan.

Politisch war Wilke deutschnational. 1938 trat er der NSDAP bei. Nach Kriegsende führte das 1946 zunächst zu seiner Amtsenthebung – kurze Zeit später durfte er aber bereits wieder unterrichten. Ausführlicher zu diesem düsteren Kapitel in der Fakultätsgeschichte, s.u.

Zum Alten Testament publizierte er v.a. in den frühen Jahren seines Wirkens. Unter seinen Publikationen sind zu nennen: Jesaja und Assur (1905); Die astralmythologische Weltanschauung und das Alte Testament (1907); Das Frauenideal und die Schätzung des Weibes im Alten Testament (1907); Das Alte Testament und der christliche Glaube (1911); Die politische Wirksamkeit der Propheten Israels (1913); Die israelitisch-jüdische Religion (1929). 1930 erhielt Wilke die Ehrendoktorwürde der Universität Rostock und 1933 den griechischen Phönixorden.

Georg Fohrer (1954–1962)

Georg Fohrer (geb. 6.9.1915 in Krefeld-Uerdingen/Nordrhein-Westfalen; gest. 4.12.2002 in Jerusalem) wurde 1954 nach Wien berufen. Studiert hatte er in Marburg und Bonn (Theologie und Vergleichende Religionswissenschaft), in Marburg habilitierte er auch und wirkte als außerplanmäßiger Professor. An der Wiener Fakultät lehrte Fohrer zwölf Jahre lang. 1956/1957 wirkte er als Dekan. 1962 nahm er einen Ruf an die Universität Erlangen an, wo er bis zu seiner Emeritierung 1979 blieb. Nach seiner Emeritierung konvertierte er zum Judentum und übersiedelte nach Jerusalem.

Fohrer prägte die alttestamentliche Wissenschaft maßgeblich und hat sich mit allen Teilgebieten der alttestamentlichen Wissenschaft beschäftigt. Aus der Wiener Zeit stammen die folgenden Publikationen: Ezechiel (1955); Messiasfrage und Bibelverständnis (1957); Elia (1957); Das Buch Jesaja (2 Bde; 1960/1962). Aus den zahlreichen weiteren Publikationen seien beispielshalber noch genannt: Das Buch Hiob (1963); Geschichte der israelitischen Religion (1969). Prägend war Fohrer auch als (Mit-)Herausgeber der Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft (ZAW) und der Beihefte zur ZAW (1960–1981), der Theologischen Realenzyklopädie (1968–1974) und der Zürcher Bibelkommentare (1972–1982). Fohrer erhielt drei Ehrenpromotionen (Marburg 1954, Aberdeen 1969, Glasgow 1970) und mehrere Ehrenmitgliedschaften in wissenschaftlichen Gesellschaften.

Nach dem Weggang Fohrers nach Erlangen wurde der Lehrstuhl durch Marie-Luise Henry vertreten (1963). Henry war nicht nur die erste Frau, die an der Wiener Evangelisch-Theologischen Fakultät Altes Testament lehrte, sondern auch die erste weibliche Professorin für Altes Testament in Deutschland (1959–1961 in Leipzig; 1973–1976 in Hamburg).

Ernst Kutsch (1963–1966)

Ernst Kutsch (geb. 17.6.1921 in Frankfurt am Main; gest. 26.5.2009 in Erlangen) wurde 1963 nach Wien berufen. Studiert, promoviert und habilitiert hatte er in Mainz; dort wirkte er 1954–1957 als Redakteur der 3. Auflage des Handwörterbuchs Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG) und ab 1960 als Privatdozent. In Wien blieb er nur drei Jahre, 1966 nahm er einen Ruf an die Universität Erlangen an, wo er bis zu seiner Emeritierung 1986 blieb. 1982 wurde Kutsch zum Pfarrer ordiniert; die Verbindung zwischen Wissenschaft und kirchlicher Verkündigung war ihm ein Anliegen.

Unter den Publikationen von Kutsch sind zu nennen: Das Herbstfest in Israel (1955); Salbung als Rechtsakt im Alten Testament und im Alten Orient (1963); Sein Leiden und Tod – unser Heil. Eine Auslegung von Jesaja 52,13–53,12 (1967); Verheißung und Gesetz. Untersuchungen zum sogenannten „Bund“ im Alten Testament (1973); Neues Testament – Neuer Bund? Eine Fehlübersetzung wird korrigiert (1978); Die chronologischen Daten des Ezechielbuches (1985).

Werner H. Schmidt (1966–1969)

Werner H. Schmidt (geb. 9.6.1935 in Mülheim an der Ruhr/Nordrhein-Westfalen) wurde 1966 nach einer kurzzeitigen Dozentur in Mainz nach Wien berufen. Hier blieb er allerdings nur drei Jahre; 1969 nahm er einen Ruf an die Universität Kiel an, später wechselte er weiter nach Marburg und Bonn. Schmidt ist es in seiner wissenschaftlichen Arbeit immer wieder gelungen, religionsgeschichtliche und theologische Fragestellungen miteinander zu verbinden.

Bekannt geworden ist er Generationen von Studierenden durch seine beiden Lehrbücher Einführung in das Alte Testament (1979, 5. Auflage immer noch im Handel) sowie Alttestamentlicher Glaube in seiner Geschichte (1968; nunmehr in der 11. Auflage). Verdient gemacht hat er sich auch durch die Mitherausgeberschaft des Biblischen Kommentars zum Alten Testament (BK). Aus der Wiener Zeit stammen neben Alttestamentlicher Glaube die beiden Publikationen Das erste Gebot. Seine Bedeutung für das Alte Testament (1969) sowie „Die deuteronomistische Redaktion des Amosbuches“ (Aufsatz 1965). Aus den zahlreichen weiteren Publikationen seien beispielshalber genannt: Königtum Gottes in Ugarit und Israel (1961); Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift (1964); Zukunftsgewißheit und Gegenwartskritik. Grundzüge prophetischer Verkündigung (1973); Die zehn Gebote im Rahmen alttestamentlicher Ethik (1993); Vielfalt und Einheit alttestamentlichen Glaubens (2 Bde; 1995).

Georg Sauer (1970–1996)

Georg Sauer (geb. 12.9.1926 in Altschönbach in Unterfranken; gest. 4.8.2012 in Wien) kam für das Studienjahr 1969/70 nach Wien, nachdem er in Bonn und Kiel Lehrstuhlvertretungen übernommen hatte. Im Oktober 1970 wurde er zum Ordentlichen Professor an die Fakultät berufen. Seinem Studium (Theologie, Klassische Philologie) war er in Jena, Erlangen, Marburg und Basel nachgegangen. Während seiner Promotionszeit in Basel hatte er schon als Repetent in Erlangen gearbeitet, wo er sich 1961 habilitierte. An der Wiener Fakultät war er je zweimal Dekan und Prodekan; 1989/90 war er Prorektor der Universität Wien. 1996 wurde Georg Sauer emeritiert, er hielt aber noch mehr als zehn Jahre lang Vorlesungen für Hörer*innen aller Fakultäten der Universität Wien, vor allem auch zur Biblischen Archäologie und der Religionsgeschichte des Vorderen Orients.

In seinen Forschungen beschäftigte sich Sauer häufig an der Schnittstelle zwischen dem Alten Testament und der Kultur- und Religionsgeschichte Ugarits. Einen besonderen Stellenwert hatte dabei die Weisheitsliteratur. Zu seinen Publikationen zählen Die strafende Vergeltung Gottes in den Psalmen. Eine frömmigkeitsgeschicht­liche Untersuchung. Teil 1. (1961), Die Sprüche Agurs. Untersuchungen zur Herkunft, Verbreitung und Bedeutung einer biblischen Stilform unter besonderer Berück­sichtigung von Proverbia c. 30 (1963), Jesus Sirach «Ben Sira», Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit (JSHRZ) III/5 (1981) und Jesus Sirach / Ben Sira (2000).

Siegfried Kreuzer (ao. Prof. 1988–1991)

Siegfried Kreuzer (geb. 18.12.1949 in Geboltskirchen, OÖ), studierte in Wien, Zürich und den USA. Er promovierte und habilitierte in Wien und wurde 1988 zum ao. Professor ernannt. Von 1986 bis 1991 leitete er zusätzlich die Evangelische Religionspädagogische Akademie. 1991 wurde er als o. Prof. für Altes Testament an die Kirchliche Hochschule in Wuppertal berufen, wo er bis 2015 tätig war. Er lebt und forscht in Perchtoldsdorf bei Wien.

Wichtige Veröffentlichungen sind: Der lebendige Gott. Bedeutung, Herkunft und Entwicklung einer alttestamentlichen Gottesbezeichnung (1983); Geschichte, Sprache und Text. Studien zum Alten Testament und seiner Umwelt (2015); The Bible in Greek (2015). Kreuzer ist Herausgeber der Einleitung in die Septuaginta (2016, englisch 2019) und seit 2011 Herausgeber des Journal of Septuagint and Cognate Studies.

1991 hatte Gunther Wanke in Wien eine Gastprofessur inne. Er war damals schon Extraordinarius für Altes Testament in Erlangen. Wien kannte er aus seiner Studien- und Doktoratszeit (er war Assistent von Georg Fohrer und schloss 1964 in Wien seine Promotion ab).

Nach der Emeritierung von Georg Sauer wurde 1997 Jutta Hausmann interimistisch als stellvertretende Leiterin des Instituts für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie ernannt. Hausmann war zu dieser Zeit bereits Professorin für Altes Testament an der Evangelisch-Lutherischen Universität Budapest.

James Alfred Loader (1997–2013)

James Alfred Loader (geb. 12.7.1945 in Pretoria/Südafrika) wurde 1997 nach Wien berufen. Studiert hatte er in Pretoria, Groningen und Cambridge (Altphilologie, Semitistik, Geschichte, Philosophie und Theologie). Er promovierte in Semitischen Sprachen (1973), in der Alttestamentlichen Wissenschaft (1975), und in Kirchengeschichte (1984). Bevor er nach Wien kam, war Loader Professor an der Universität von Pretoria (ab 1979) und Professor an der Universität von Südafrika (Unisa; ab 1980). Er blieb bis zu seiner Emeritierung an der Fakultät in Wien (und lebt und forscht auch weiterhin in Wien), 2006–2010 wirkte er als Dekan. Er ist auch ordinierter Pfarrer der Niederdeutschen Reformierten Kirche in Südafrika und der Evangelischen Kirche H.B. in Österreich.

Ein besonderes Forschungsinteresse Loaders gilt der Weisheitsliteratur. Unter seinen Publikationen sind zu nennen: Polar Structures in the Book of Qohelet (1979); A Tale of Two Cities – Sodom and Gomorrah (1990); Lexikon der Bibelhermeneutik (hg. zusammen mit Oda Wischmeyer u.a.; 2009, 2013); Esther (Kommentar ATD; 1992); Proverbs 1–9 (Kommentar HCOT, 2014). Loader ist Mitherausgeber der Review of Biblical Literature (Atlanta). Loader erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. 1989 den Goldenen Preis der Teylers Theologischen Gesellschaft (Niederlande) und 2009 den Ehrendoktortitel von der Universität von Pretoria.

Nach Loaders Emeritierung blieb der Lehrstuhl eine Zeit lang vakant. Der Lehrbetrieb wurde über Lehraufträge sowie mit Hilfe von Marianne Grohmann (s.u.) und Privatdozent Stefan Fischer aufrechterhalten.

Marianne Grohmann (ao. Prof. seit 2007; Univ. Prof. seit 2019)

Marianne Grohmann (geb. 20.7.1969 in Wien) wurde 2019 zur Universitätsprofessorin berufen, nachdem sie bereits seit 2007 außerordentliche Professorin am Institut war. Sie studierte Evangelische Theologie sowie Lehramt Religion und Deutsch in Wien und Berlin, 1992/93 ein Jahr mit „Studium in Israel“ und 1995/96 im Rahmen von Doktoratsforschungen an der Hebräischen Universität Jerusalem. Marianne Grohmann promovierte 1999 in Systematischer Theologie (Aneignung der Schrift. Wege einer christlichen Rezeption jüdischer Hermeneutik, 2000) und habilitierte sich im Alten Testament (Fruchtbarkeit und Geburt in den Psalmen, 2007). 2007 war sie als Fulbright Visiting Scholar an der University of Berkeley in Kalifornien. 2008 erhielt sie einen Ruf an die Universität Hamburg, blieb aber in Wien.

Schwerpunkte ihrer Forschungen sind Hermeneutik und das Verhältnis zu jüdischer Bibelauslegung, Anthropologie und Gender-Fragen, Psalmen und Klagelieder. Zu ihren Publikationen aus jüngerer Zeit zählen: Second Wave Intertextuality and the Hebrew Bible, herausgegeben zusammen mit Hyun Chul Paul Kim (2019); Foreign Women in the Hebrew Bible and the Ancient Near East, herausgegeben zusammen mit Angelika Berlejung (2019).

Annette Schellenberg-Lagler (seit 2015)

Annette Schellenberg-Lagler (geb. 30.7.1971 in Zürich) wurde 2015 nach Wien berufen. Studiert, promoviert und habilitiert hatte sie in Zürich. Bevor sie nach Wien kam, lebte und lehrte sie fast 10 Jahre in Kalifornien, zuerst in Los Angeles (als visiting scholar an der UCLA), und dann in der San Francisco Bay Area (zuerst als assistant professor und später als associate professor am San Francisco Theological Seminary in San Anselmo und der Graduate Theological Union in Berkeley).

Ein besonderes Forschungsinteresse Schellenbergs gilt der alttestamentlichen Anthropologie (Erkenntnis, Sinne, Sonderstellung u.a.m.). Ihre wichtigsten Publikationen sind: Erkenntnis als Problem. Qohelet und die alttestamentliche Diskussion um das menschliche Erkennen (2002); Der Mensch, das Bild Gottes? Zum Gedanken einer Sonderstellung des Menschen im Alten Testament und in weiteren altorientalischen Quellen (2011), Kohelet (2013). Zurzeit schreibt Schellenberg an einem Kommentar zum Hohelied. Seit 2020 ist sie editor-in-chief der Zeitschrift Vetus Testamentum.

Ereignisse und Impulse

Im Folgenden seien drei Phasen in der Institutsgeschichte etwas genauer beleuchtet.

Zu Johann Georg Wenrich, Johann von Patay und den Anfängen der Exegese an der Protestantisch-Theologischen Lehranstalt in Wien

Die 1821 gegründete Protestantisch-Theologische Lehranstalt war von Anfang an als Ausbildungsstätte für Prediger sowohl der Augsburgischen als auch der Helvetischen Konfession gedacht, für Lutheraner und Reformierte. Danach befragt, in welchen Fächern die beiden Konfessionen getrennt unterrichtet werden sollen, schlugen die damaligen Superintendenten der beiden Kirchen neben der Dogmatik auch die Exegese vor. Kaiser Franz I nahm diesen Vorschlag auf und ließ sich davon auch nicht mehr abbringen, obwohl ihn die zuständige Studien-Hofkommission darauf aufmerksam machte, dass die Interpretation der Bibel in den beiden Konfessionen nach den gleichen hermeneutischen Grundsätzen geschieht.

Die Suche nach einem Kandidaten für die Professur der Exegese augsburgischen Bekenntnisses war schnell erfolgreich: Mit Johann Georg Wenrich (geb. 1787; gest. 1847) war ein überaus gebildeter Gelehrter gefunden, dessen Ruhm bald weit über die Grenzen der Monarchie hinausreichte. Zu Beginn teilten sich Wenrich und sein einziger Kollege, der Kirchengeschichtlicher Johann Genersich, den gesamten Lehrbetrieb. Erst nach und nach kamen die anderen Kollegen hinzu und Wenrich konnte sich wieder der Forschung widmen.

Sehr viel schwieriger erwies sich die Suche nach geeigneten Kandidaten für die Professur der Exegese helvetischen Bekenntnisses. Manche der in die Diskussion gebrachten Kandidaten wurden abgelehnt, andere lehnten selbst ab. Letztendlich erging der Ruf an Johann von Patay (geb. 1778; ges. 1854) – keine herausragende Gestalt, aber immerhin willig und fähig genug, die Aufgabe zu übernehmen.

Die Trennung der beiden exegetischen Lehrstühle nach Konfession blieb bis 1850 bestehen. Im Zug der Umwandlung der Protestantisch-Theologischen Lehranstalt in eine Evangelisch-Theologische Fakultät wurde die alte Regelung dann aber aufgehoben und bestimmt, dass die beiden Lehrstühle fortan nach den beiden Testamenten zu unterscheiden sind. Der Wechsel ging mehr oder weniger zeitgleich mit dem Stellenantritt von Georg Gustav Roskoff einher. Er war der erste Lehrstuhlinhaber, der offiziell als Professor für alttestamentliche Exegese (und biblische Archäologie) berufen wurde.

Literatur

- G. Frank, Die K. K. Evangelisch-Theologische Facultät in Wien von ihrer Gründung bis zur Gegenwart. Zur Feier ihres fünfzigjährigen Jubiläums, Wien 1871, 13–59.

- G. Sauer, Die Erstbesetzung der Exegetischen Lehrkanzeln an der im Jahre 1821 eröffneten (akatholischen) Protestantisch-Theologischen Lehranstalt in Wien, in: K. Schwarz und F. Wagner (Hg.), Zeitenwechsel und Beständigkeit. Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien 1821–1996 (Schriftenreihe des Universitätsarchivs 10), Wien 1997, 227–246.

- W. Pratscher, Die Anfänge der neutestamentlichen Exegese an der Protestantisch-theologischen Lehranstalt in Wien, Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 96 (1980), 90–100.

Zu Ernst Sellin und der Palästinaarchäologie

Mit der Umwandlung der Protestantisch-Theologischen Lehranstalt in eine Evangelisch-Theologische Fakultät (1850) wurde die „Biblische Archäologie“ offizieller Teil der Bezeichnung der AT-Professur bzw. später des alttestamentlichen Instituts. Die Ergänzung passt, insofern die Archäologie für die alttestamentliche Wissenschaft grundsätzlich eine wichtige Rolle spielt. Heutzutage würde man allerdings eher von „Palästinaarchäologie“ sprechen. Die meisten Lehrstuhlinhaber*innen haben die Archäologie nicht zu einem eigenen Forschungsschwerpunkt gemacht. Als wichtige Ausnahme sticht Ernst Sellin (geb. 1867; gest. 1946) hervor: Er war einer der ersten Forscher, der alttestamentliche Wissenschaft mit Palästinaarchäologie verband.

Pionierarbeit leistete Sellin insbesondere durch seine Ausgrabungen auf dem Tell Taanach (1901–1904), die in seine Wiener Zeit fallen. Seine Funde auf Taanach waren wichtige Quellen zur Erforschung des bronze- und eisenzeitlichen Palästina: Er entdeckte das erste Keilschriftarchiv, das in Palästina gefunden wurde, eine Briefsammlung aus dem 15. Jh. v.Chr. Auch weitere Funde – ein eisenzeitlicher Kultständer (oder Räucheraltar) aus Ton mit figürlichen Appliken, weibliche Figurinen – lieferten wichtige Erkenntnisse zur Religionsgeschichte des alten Israel. Sellins Ausgrabungen waren die ersten Grabungen eines deutschsprachigen Archäologen und die erste und bis dato einzige rein österreichische Grabung vor Ort. Sellins Arbeit entsprach den damaligen methodischen Standards und er sorgte für eine rasche Publikation seiner Ergebnisse. Finanziert wurden seine Grabungen durch das Kultusministerium, die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften sowie Privatpersonen und Firmen.

Literatur

- F. Höflmayer, Österreich und die Biblische Archäologie. Ein (fast) vergessenes Kapitel österreichischer Forschung im Vorderen Orient, in: E. Czerny und M. Zavadil (Hg.), Archäologie und Republik. Reflexionen zur Archäologie in Österreich in der Ersten und Zweiten Republik, Wien 2020, im Druck.

- S. Kreuzer, Palästinaarchäologie aus Österreich. Ernst Sellins Ausgrabungen auf dem Tell Ta’annek in Israel (1902–1904), in: K. Schwarz und F. Wagner (Hg.), Zeitenwechsel und Beständigkeit. Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien 1821–1996 (Schriftenreihe des Universitätsarchivs 10), Wien 1997, 257–276.

- S. Kreuzer, Die Ausgrabungen des Wiener Alttestamentlers Ernst Sellin in Tell Ta'annek (Taanach) von 1902 bis 1904 im Horizont der zeitgenössischen Forschung, Protokolle zur Bibel 13 (2004), 107–130.

- S. Kreuzer (Hg.), Taanach / Tell Ta‛annek. 100 Jahre Forschungen zur Archäologie, zur Geschichte, zu den Fundobjekten und zu den Keilschrifttexten. Mit Beiträgen von Frank S. Frick, Wayne Horowitz, Siegfried Kreuzer, Takayoshi Oshima, Regine Pruzsinszky, Mark S. Ziese und Wolfgang Zwickel sowie einem Nachdruck der Grabungsberichte von Ernst Sellin und der Textedition von Friedrich Hrozný (Wiener Alttestamentliche Studien 5), Wien / Frankfurt 2006.

- S. Kreuzer, Ernst Sellin und Gottlieb Schumacher, in: C. Trümpler (Hg.), Das große Spiel. Archäologie und Politik zur Zeit des Kolonialismus (1860–1940), Essen 2008, 136–145, 655f.

- U. Palmer, Ernst Sellin – Alttestamentler und Archäologe. Mit einem Beitrag von Hermann Michael Niemann. Beiträge zur Erforschung des Alten Testaments und des Antiken Judentums. Frankfurt am Main u.a. 2012.

- G. Sauer: Sellin, Ernst Franz Max, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL) Bd. 9, Herzberg 1995, 1370–1372.

Zu Friedrich Wilke und dem Umgang der Fakultät mit dem Nationalsozialismus

Friedrich Wilke (geb. 1879; gest. 1957) war Dekan, als die 100-jährige Evangelisch-Theologische Fakultät 1921 in die Universität Wien inkorporiert wurde. Zu diesem Anlass verfasste er auch zwei fakultätsgeschichtliche Reden. Hier sei Wilke herausgegriffen, weil er als eines von zwei NSDAP-Mitgliedern an der Fakultät sinnbildlich für dieses düstere Kapitel in der Geschichte der Fakultät steht.

Wilke teilte schon früh deutschnationales Gedankengut. Er war Mitglied in zwei Studentenverbindungen der Schwarzburgverbindung, dem Deutschen Klub, dem Kyffhäuserbund und ähnlichen Vereinen. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg hat er einige Schriften politischen Inhalts verfasst, etwa Ist der Krieg sittlich berechtigt? (1915) oder Völkerleben und Landesgrenzen (1917). Seine Gesinnung spiegelt sich auch in mancher seiner alttestamentlichen Schriften – etwa, wenn er in seiner kleinen Schrift über Die israelitische Weltanschauung (1914) im Blick auf die Völkertafel von Gen 10 von „Rassen“ spricht, vor einer Überbetonung des Orients warnt und zur intensiveren Beschäftigung mit den germanischen Religionen aufruft (Schweighofer 2009, 27).

Später erwies sich Wilke als ein überzeugter Nazi. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland stellte er 1938 einen Antrag auf Mitgliedschaft in die NSDAP und legte dabei dar, dass er schon vor 1938 „den Sieg des Nationalsozialismus in Österreich vorzubereiten“ half (zitiert nach Pfefferle 2014, 257), was sich auch an Akten belegen lässt (Huber 2020, passim). Seit 1939 arbeitete er beim „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ mit. 1941 wurde ihm (rückwirkend) mitgeteilt, dass er zum 1.5.1938 in die NSDAP aufgenommen wurde. Etwa gleichzeitig wie Wilke hatte sich auch sein Fakultätskollege Gustav Entz um eine Mitgliedschaft bemüht; sein Antrag wurde aber abgelehnt. Neben Willke war an der Evangelisch-Theologischen Fakultät Wien auch noch der Systematiker Hans Wilhelm Schmidt Mitglied in der NSDAP, dieser schon seit 1934.

Wie viele andere versuchte Wilke nach Kriegsende seine Parteimitgliedschaft herunterzuspielen. Dennoch wurde er am 29.3.1946 von dem zur Entnazifizierung bestellten Komitee aus seinem Amt als Universitätsprofessor enthoben – allerdings ohne Konsequenzen. Nur wenige Tage später wurde Wilke (wohl aufgrund einer Intervention von Dekan Entz) in den Ruhestand versetzt, womit er Anspruch auf Pension hatte. Zudem ermöglichte es ihm Entz, weiter an der Fakultät zu lehren (wobei auch eine Rolle spielte, dass es in der Nachkriegszeit schwer war, einen Nachfolger zu finden). In den ersten Jahren waren Wilkes Veranstaltungen im Vorlesungsverzeichnis gar nicht oder mit N.N. angekündigt, bereits 1948 war er aber schon wieder offizieller Lektor und von 1949 bis 1954 sogar Honorarprofessor. Nach seinem Tod stiftete ihm die Stadt Wien ein Ehrengrab auf dem Friedhof Neustift a.W.

Wilkes Nachfolger Georg Fohrer endete seinen Nachruf auf Wilke (1957) mit der Mahnung, niemand habe das Recht, Menschen gering zu schätzen, die den Zusammenbruch ihrer Ideale nicht verwinden konnten, Wilke sei für seine wissenschaftlichen Leistungen ehrend zu gedenken. Solch versöhnliche Töne sind für einen Nachruf sicher passend; dennoch bleibt es wichtig, auch die dunklen Seiten der Geschichte der Fakultät klar zu benennen.

Literatur

- G. Fohrer, Fritz Wilke †, Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 75 (1959), 139–148.

- A. Huber, Antisemitische Schaltzentrale. Die Deutsche Gemeinschaft und Österreichs Hochschulen in der Ersten Republik, PDF auf academia, angekündigt für 2020 im Jahrbuch für Universitätsgeschichte.

- H. V. Kieweler, Fritz Wilke und seine theologische Entwicklung, in: K. Schwarz und F. Wagner (Hg.), Zeitenwechsel und Beständigkeit. Beiträge zur Geschichte der evangelisch-theologischen Fakultät in Wien 1821–1996 (Schriftenreihe des Universitätsarchivs 10), Wien 1997, 295–324.

- R. und H. Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert. Die Professorenschaft der Universität Wien von 1944 in den Nachkriegsjahren (Schriften des Archivs der Universität Wien 18), Wien 2014, 249–262.

- S. Schima, Die Geschichte des Antisemitismus an der Universität Wien. Eine christliche Angelegenheit?, in: M. Himmelbauer u.a. (Hg.), Erneuerung der Kirchen. Perspektiven aus dem christlich-jüdischen Dialog (QD 290), Freiburg / Basel / Wien 2018, 20–44.

- A. Schweighofer, Antisemitismus in der evangelischen Kirche von 1880 bis 1938, Dialog Du-Siach 74 (2009), 22–36.