„Kirchenrecht“ an der Ev.-Theol. Fakultät / Lehranstalt
I. Geschichtlicher Überblick
Mit Wirkung vom 1. Oktober 2005 wurde das Institut für Kirchenrecht und evangelische Kirchenordnung aufgelöst und das kirchenrechtliche Lehrangebot auf neue Grundlagen im Rahmen des Instituts für Praktische Theologie und Religionspsychologie gestellt. Diese Zuordnung folgt einer durchaus verständlichen Logik, die das Kirchenrecht im Sinne Schleiermachers als Kybernetik der Praktischen Theologie zugeschlagen wurde - gleichsam als theologia practica externa .
Seit der Gründung der Fakultät als Lehranstalt 1819 war im Studienplan das Kirchenrecht als eigenständiges Fach vorgesehen. Es sollte im letzten Semester des dreijährigen Studiums vom Kirchenhistoriker vorgetragen werden - wohl der Erkenntnis geschuldet, dass die Interpretation historischer Rechtsquellen, der Verordnungen in publico-ecclesiasticis, den Inhalt der 5stündigen Vorlesung ausmachte. Es war aber nicht der Kirchenhistoriker, der dieser Aufgabe nachkam, sondern zuerst der lutherische BibelwissenschaftlerJohann Georg Wenrich (1787-1847), der mit organisationsrechtlichen Fragen vertraut war und nach dem plötzlichen Ableben des Kirchenhistorikers kurzerhand einsprang. Dabei kam ihm zunutze, dass er sich in seiner Vorlesung an ein amtlich vorgeschriebenes "Lehrbuch" zu halten hatte, nämlich an das Erstlingswerk des Göttinger Privatdozenten Georg Wilhelm Boehmer (1761-1839): Grundriß des protestantischen Kirchenrechts (Göttingen 1786), von dem ein späterer Fachvertreter behaupten konnte, dass es einen geschickten didaktischen Zugang zum Kirchenrecht gerade auch für Theologiestudenten bereitstellte. Dass Boehmer ein deklarierter Jakobiner gewesen sei und eine "bedenkliche Neigung zur freigeistigen Phrase und zur politisierenden Polemik" gezeigt hätte, wurde in der Metropole der Habsburgermonarchie aber nicht bemerkt. Viel zu sehr war die Lehranstalt mit ihrem Auftrag beschäftigt, ihre Studenten im Sinne eines gesamtösterreichischen Reichspatriotismus zu prägen und als Instrument zur Integration der unterschiedlichen kirchlichen Traditionen im Vielvölkerstaat zu dienen.
Erst mit der Berufung des Kirchenhistorikers Friedrich Daniel Schimko 1826, konnte die Zuordnung des Kirchenrechts zur Kirchengeschichte in Kraft treten und sie blieb bis zur Studienreform erhalten, die 1850 durch die Aufwertung der Lehranstalt zur Fakultät veranlasst wurde. Sie erbrachte wohl eine Befreiung der Fakultät von den beengenden Vorschriften des Vormärz und beendete deren Unterordnung unter die Direktion der Konsistorien, aber rückte gleichwohl das Kirchenrecht in das Visier der Kultuspolitik, um als Instrument zur Stützung des österreichischen Einheitsstaates eingesetzt zu werden und "ein engeres Anschließen der protestantischen Kirche an den Staat" zu propagieren.
Das Kirchenrecht wanderte noch im Herbst 1849 zur Lehrkanzel für Praktische Theologie, die dem aus Ungarn geflüchteten slowakischen Pfarrer Karol Kuzmány übertragen wurde.
Er war vom Ministerium mit Bedacht ausgewählt worden und zwar als Exponent des slowakischen Luthertums und um dadurch dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Nationalitäten zu entsprechen. Außerdem hatten die slawischen Studenten in einer Denkschrift homiletische Übungen in ihrer künftigen Amtssprache verlangt. So wurde schon anlässlich der Besetzung des Praktisch-theologischen Lehrstuhls argumentiert, dass es sich um eine "Reichsanstalt für alle der österreichischen Monarchie angehörigen Protestanten deutscher, slavischer und magyarischer Zunge" handle und deshalb nach dem Grundsatz der ethnischen Gleichberechtigung zu verfahren sei. Um die Attraktivität der Schule zu erhöhen, sollten nicht nur homiletische Übungen, sondern auch einzelne Lehrveranstaltungen zur Gänze in slawischer und magyarischer Sprache angeboten werden.
Kuzmány war der erste Exponent des slowakischen Luthertums und er trug dazu bei, dass sich an diesem Lehrstuhl für Praktische Theologie wegen der praktischen Übungen in der Muttersprache eine slawische Tradition festigen konnte, die von 1849 bis 1919 das Gesicht der Fakultät bestimmte und den überwiegend deutschnationalen Kurs des Professorenkollegiums auf eigentümliche Weise konterkarierte.
Auf Kuzmány, der in allen Sprachen der Habsburgermonarchie vorzutragen in der Lage war, folgte Johann Michael Seberiny, ebenfalls ein Slowake und in allen Sprachen ausgewiesen. Er hatte am Lutherischen Kollegium in Eperies/Prešov nicht nur die Theologie, sondern auch Jurisprudenz studiert und von daher die beste Qualifikation für ein kirchenrechtliches Lehramt mitbrachte. Er war als Militärpfarrer (mit Rang und Titel eines Militärsuperintendenten) in Wien tätig, supplierte aber zeitweise den abwesenden Kuzmány und wurde zu dessen Nachfolger bestimmt, als der er durch mehr als drei Jahrzehnte wirkte und das Zusammenwirken von Staat und Kirche personifizierte.
Zu seinem Nachfolger wurde 1895 der lutherische Pfarrer Gustav Adolf Skalský berufen; er hatte in Wien und Erlangen studiert und war dort im Sinne des fränkischen orthodoxen Luthertums nachhaltig geprägt worden. Als Professor für Praktische Theologie und Kirchenrecht wirkte er bis 1919, er war der erste Vertreter der tschechischen Nation im Wiener Lehrkörper und hatte auch als ao. Ratsmitglied im Ev. Oberkirchenrat A.B. den Ausgleich mit Prag gesucht, ein ehrlicher Makler für die Verbesserung der Beziehungen zwischen den mehrheitlich reformierten Tschechen und der Wiener Zentrale - in der Ära zunehmender nationaler Spannungen eine schwierige Aufgabe.
Mit 1. Jänner 1919 wurde Skalský pensioniert. Er optierte für Prag und ließ sich dort als Professor reaktivieren, um als Gründungsdekan die nach dem Prager Reformator Jan Hus benannte, von der Karls-Universität separierte Ausbildungsstätte für den geistlichen Nachwuchs der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder (so die Selbstbezeichnung nach der Union vom 17. Dezember 1918) aufzubauen.
In Wien übernahm das Lehramt für Kirchenrecht der seit 1913 hier wirkende tschechische Systematiker Josef Bohatec. Er hat sich vor allem als Calvinforscher in die Annalen der Wissenschaft eingetragen, dabei untersuchte er gezielt die Rechtslehre des Reformators; dort findet sich das Kirchenrechtsverständnis des Systematikers auf den Punkt gebracht:
Kirchenrecht ist nicht juristisch zwingendes, sondern als ein 'pneumatisches Ordnungsrecht des Wortes und der Seelsorge', als eine Regel pneumatischen Willens in der Kirche, durch Freiheit und Dienstgesinnung gekennzeichnet.
Hier wird das Kirchenrecht strikt theologisch eingezäunt, wie es der reformierten Tradition entsprach, die das Kirchenrecht schon immer als Teil der "Gottesgelahrtheit" für die Theologie reklamierte, während in den lutherischen Kirchen das Kirchenrecht historisch bedingt sehr variabel gestaltet war und dem jeweiligen Landesherrn oblag.
Sein Nachfolger am Lehrstuhl für Systematische Theologie H.B. Johann Karl Egli kam aus der pastoralen Praxis, wie dies in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Regel gewesen ist. Ihm, der lange Jahre Pfarrer der reformierten Stadtkirche und (Landes-)Superintendent der Kirche H.B. gewesen war, wurde mit dem reformierten Lehrstuhl auch jener des Kirchenrechts anvertraut. Einen literarischen Niederschlag hat seine Lehrtätigkeit jedoch kaum gefunden. Wohl aber hat er mit Barmen 1934 die wichtige Zäsur für das Kirchenrecht erkannt und in Karl Barth (1886-1968) und dessen kirchenrechtlichen Abschnitt in der Kirchlichen Dogmatik (Bd. IV/2 [1955] "Die Ordnung der Gemeinde"), den neuen Ansatz des Kirchenrechtsunterrichts verankert.
Nach dessen Emeritierung (1962) boten sich zwei Zugänge zum Kirchenrecht an, über die Systematische Theologie A.B. oder die Kirchengeschichte.
Der 1955 habilitierte Systematiker Wilhelm Dantine (1911-1981), der im Rahmen seiner Dozentur alle Bereiche der Systematischen Theologie behandelte, hatte auch den interdisziplinären Dialog mit den Rechtswissenschaften gesucht und etliche Beiträge zur Strafrechts- und Eherechtsreform verfasst sowie sein Interesse an kirchenrechtlichen Fragen deutlich artikuliert.
Bis zur endgültigen Besetzung des Kirchenrechtlichen Lehrstuhls in Wien währte es noch ein gutes Lustrum. In dieser Phase wurde die Evangelische Kirche in Österreich durch einen Konflikt erschüttert, der von der Weisungsgebundenheit oder -freiheit der Pfarrer handelte und deshalb kompliziert war, weil in ihm unterschiedliche Fragen (Amtstheologie, Disziplinarrecht, Mischeherecht, Ökumene) zusammenflossen. In dieser Situation gestaltete sich die Suche nach einem Professor für Kirchenrecht als sehr kompliziert; Ob in dieser höchst kontroversen Konstellation ein Fachtheologe mit historischem Zugang zum Kirchenrecht einem Juristen vorzuziehen sei, der als Nichttheologe möglicherweise im Kollegium isoliert wäre, aber unbelastet den Konfliktparteien gegenübertreten könnte - das waren die Alternativen, über die gestritten wurde. In dieser Übergangsphase wurde der Kirchenrechtsunterricht vom Kirchenhistoriker Wilhelm Kühnert wahrgenommen, der regelmäßig ein praxisgeleitetes Repetitorium zum Kirchenrecht (1961-1971) hielt.
Es war zweifellos jener Konflikt um die Ökumenische Trauung in Berndorf 1965, der die Gründung eines selbständigen Instituts für Kirchenrecht beschleunigte.
1971 wurde der Münchener Dozent Christoph Link als Professor für Kirchenrecht berufen und mit der Errichtung eines selbständigen Instituts beauftragt. Nach sechs Jahren verließ er Wien aber wieder, um an die Juridische Fakultät nach Salzburg, später nach Göttingen und zuletzt nach Erlangen zu wechseln. Er stellte sich mit einem umfassenden Lehrangebot vor mit drei Hauptvorlesungen, welche der Kirchlichen Rechtsgeschichte, dem Inneren Kirchenrecht und dem Staatskirchenrecht gewidmet waren und durch ein Hauptseminar zu wechselnden Themen ergänzt wurde. Die Verpflichtung zum Dialog mit der Theologie war ihm keine Last, sondern ein wichtiges Anliegen. Als er die Grundlagen der Kirchenverfassungen untersuchte, wurde ihm die Notwendigkeit einer rechtstheologischen Grundlegung des Kirchenrechts bewusst, um nicht einem platten kirchlichen Rechtspositivismus zu erliegen. Dass eine solche Gefahr besteht, hat er mit seinem Hinweis auf die spezifisch altösterreichische Herkunft der rechtspositivistischen Tradition in diesem Land - und mit Nachdruck zu ergänzen: in dieser Kirche - aufgezeigt.
Seine Ehrenpromotion zum Dr.theol. durch die Universität Wien (16.06.2004) verstand sich nicht nur als ein Zeichen der fortwährenden Verbindung mit seiner ersten Arbeitsstätte (1971-1977), sondern auch als Dank für seine Bemühungen um das evangelische Kirchenrecht - oder, wie es in der Laudatio hieß: wegen "hervorragender Verdienste für die Entwicklung der Wissenschaft vom Recht für die evangelische Theologie und Kirche".
Auf eine völlig andere "kirchenrechtliche Sozialisation" blickte Albert Stein zurück, der mit Entschließung vom 07.12.1977 zum Ordinarius für Kirchenrecht berufen (1977-1984) wurde. Er kam aus dem rheinländischen Katholizismus, hatte an der Universität in Freiburg/Breisgau Rechtswissenschaften studiert und wurde dort mit den Anliegen der Reformation vertraut gemacht, er saß im Seminar eines Zeitzeugen des Kirchenkampfes und der ökumenischen Bewegung, eines Neuinterpreten evangelischer Rechtstheologie Erik Wolf (1902-1977); Stein entschied sich für den Übertritt in die (unierte) Badische Landeskirche. Nach der Promotion zum Dr.jur. (1950) begann er neben seiner Tätigkeit als Richter in mehreren KZ-Prozessen ein Studium der evangelischen Theologie in Bonn, zunächst um seinen praktischen Einsatz als Laienprediger zu fundieren, nach seiner Ordination zum Predigtamt 1963 aber planmäßig mit dem Ziel einer Promotion zum Dr.theol. (1965). Das Thema seiner Dissertation war die Lehrbeanstandung im evangelischen Bereich, Fragen der Lehrzucht und deren kirchenrechtliche Bewältigung, säumten seinen weiteren wissenschaftlichen Werdegang. Das zweite große Thema war sein Lektorendienst, den er nun auch wissenschaftlich fundiert untersuchte. Daraus erwuchs seine Habilitationsschrift über die Laienpredigt, mit der er die Lehrbefugnis für Praktische Theologie, insbesondere für Kirchenordnung (1971) erwarb und verknüpfte somit die Kirchenrechtslehre mit der Praktischen Theologie.
Es faszinierte sein soziologisches und zugleich hermeneutisches Rechtsverständnis, sein Vergleich des Rechts mit "Seekarten", die aufgrund der Erfahrungen von gestern mit Worten von heute Hilfen für morgen anbieten, aber doch ständig überprüft werden müssen. Auch sein Vergleich des Kirchenrechts mit einem "Stiegengeländer" ist eindrucksvoll, weil er das Kirchenrecht als modale Hilfe einschärft und somit seine Aufgabe im Gegenüber zur eigentlichen Sendung der Kirche eingrenzt.
Dem Kirchenrecht, das er (und hier zeigt sich seine Verwurzelung in der "nach Gottes Wort reformierten Kirche") biblisch verankerte, liegt ein spezifisch ökumenischer Auftrag zugrunde. Nirgendwo sei ihm die ökumenische Verpflichtung so sinnfällig zum Bewusstsein gekommen wie in Wien, dem Zentrum eines multikulturellen und multikonfessionellen Mitteleuropas von historischer und aktueller Tragweite.
Die Aufgabe, als Leitender Jurist einer Landeskirche das Kirchenrecht aus praktischer Perspektive kennen zu lernen und in die Praxis des kirchlichen Alltags umzusetzen, hat ihn außerordentlich gereizt. So spontan er einem Wechsel vom Richteramt in die Theologische Fakultät Rechnung getragen hatte, so stellte sich auch die Rückkehr nach Deutschland dar. Dabei ist zu bedenken, dass es jene Landeskirche war, die seine Mitarbeit erbeten hat, in die er im Zuge seines Rechtsstudiums bewusst konvertiert war: die Evangelische Kirche in Baden, eine unierte Landeskirche, die sich ganz bewusst in die Tradition der Bekennenden Kirche stellte und die Barmer theologische Erklärung rezipierte und den Anspruch erhob, dass ihre Kirchenleitung "geistlich und rechtlich in unaufgebbarer Einheit" geschieht. Für sie war Stein schon vielfach tätig geworden, etwa mit der Ausarbeitung einer Lehrverfahrensordnung. In Ergänzung zu seiner Leitungstätigkeit wurde ihm der Kirchenrechtsunterricht übertragen. Im Rahmen der theologischen Fakultät der Universität Heidelberg nahm er eine Honorarprofessur für Kirchenrecht wahr.
Nach dem Weggang von Albert Stein nach Karlsruhe wurde die Leitung des verwaisten Instituts dem Systematiker Ulrich Kühn (1932-2012) überantwortet (1984-1987) und die kirchenrechtlichen Lehrveranstaltungen durch Supplenten gehalten. Einer der als erster 1984 mit dieser Aufgabe betraut wurde, war MinR Dr.jur. Günter Sagburg, der "legistische Vater" des Protestantengesetzes (1961). Er hat aus der Fülle seiner praktischen Amtserfahrung heraus das Kirchenrecht entfaltet. 1990 wurde ihm dafür der Titel eines Honorarprofessors (22.10.1990) verliehen.
In den beiden Studienjahren 1984-1986 nahm auch der emeritierte Erlanger Kirchenrechtler Klaus Obermayer eine Gastprofessur in Wien wahr. Er gründete das Kirchenrecht unbefangen auf dem jus divinum der "biblischen Weisung" (Verkündigungsauftrag, Sakramentsverwaltung, Übertragung der Schlüsselgewalt), sah aber auch dessen "notwendige Weltgebundenheit", um so die theologisch-juristische Komplexität des Kirchenrechts zum Ausdruck zu bringen. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Lehre war die "Sinnverantwortung" des Staates, die er aus dem Schutz der Menschenwürde ableitete.
Weitere Supplenten waren die beiden 1986 habilitierten Dozenten für Kirchenrecht Karl Schwarz (28.02.1986) und Gustav Reingrabner (08.08.1986), ersterer übernahm auch die provisorische Institutsleitung und konzentrierte sich auf das staatliche Religionsrecht und Schulrecht, während Letzterer die Einführungsvorlesung und das Innere Kirchenrecht übernahm.
Mit Wirkung vom 21. September 1990 wurde Gustav Reingrabner zum ordentlichen Professor für Kirchenrecht berufen, er nahm dieses Lehramt bis 30. September 2005 wahr. Am 16. Jänner 1991 hielt er seine Antrittsvorlesung zum Thema "Überlegungen zu den Aufgaben eines Lehrstuhls für Kirchenrecht an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien". Die jeweils 2st Lehrveranstaltungen Rechtsgeschichte / Kirchenrecht / Staatskirchenrecht wechselten im Turnus und wurden durch ein Seminar zu unterschiedlichen Themen ergänzt.
Die Modifikation des Institutsnamens in "Institut für Kirchenrecht und evangelische Kirchenordnung" wurde aus Unterscheidungsgründen gegenüber den gleichnamigen Instituten an der Katholisch-theologischen Fakultät (nunmehr Institut für Kanonistik) und Rechtswissenschaftlichen Fakultät (nunmehr Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht) nahe gelegt.
Mit dem zeitlichen Ende der Lehrtätigkeit von Gustav Reingrabner 2005 fällt die Totalredaktion der österreichischen Kirchenverfassung zusammen. Auf der Generalsynode am 18. Mai 2005 beantragte der stellvertretende juristische Oberkirchenrat und Honorarprofessor Raoul Kneucker diese apostrophierte Totalredaktion, welche auf den juristischen Oberkirchenrat Robert Kauer und den Landessuperintendenten der Evangelischen Kirche H.B. Peter Karner zurückging.
2004 war Raoul Friedrich Kneucker als Honorarprofessor in den Lehrkörper der Fakultät berufen worden. Seit 2002 bekleidete er auch eine Honorarprofessur für Politologie an der Universität Innsbruck und wirkte zwischen 2006 und 2012 als Juristischer Oberkirchenrat, er verweist auf eine breit angelegte Expertise, die von der Bürokratieforschung über Europapolitik bis zum evangelischen Kirchenrecht und zum internationalen Religionsrecht reicht. Er entwickelte eine neue Form des Kirchenrechtsunterrichts, das sogenannte "Wiener Modell", das den veränderten Studienbedingungen des Faches Rechnung trägt, im Dialog zwischen Theologie und Jurisprudenz angesiedelt wird und den Lehrstoff mehr exemplarisch in zwei Pflichtlehrveranstaltungen "Recht der Religionen und Religionsgemeinschaften in Europa" und "Inneres evangelisches Kirchenrecht" bündelt, wobei die erstgenannte im Bachelorstudium angebotene international orientierende Seminarübung in englischer Unterrichtssprache gestaltet wird, ein besonderes Anliegen Kneuckers, der in seiner Lehrtätigkeit auf amerikanische Unterrichtserfahrungen rekurrierte.
II. Lehrstuhlinhaber / Lehrer des Kirchenrechts
Johann Georg Wenrich, Professor für lutherische Bibelwissenschaften 1821-1847 und Supplent für Kirchenrecht 1825
* 13.10.1787 in Schäßburg/Sigişhoara/Segesvár in Siebenbürgen, + 15.5.1847 in Wien
Studium der Orientalistik in Wien, führend in der Arabistik und Sanskritforschung; Mitglied der kais. Akademie der Wissenschaften (1847).
Friedrich Daniel Schimko, Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht 1826-1864
* 4.4.1796 in Bánluzsány/Podlužany/Slowakei, + 1.12.1867 in Preßburg/Bratislava
Studium in Wien 1821-1825; Dr.theol.h.c. Jena (1853)
Werke: Das kirchlich- religiöse Leben im constitutionellen Staat, Wien 1850.
Karl Kuzmány, Professor für Praktische Theologie und Kirchenrecht 1849-1862
Karl Kuzmány, Professor für Praktische Theologie und Kirchenrecht 1849-1862
* 16.11.1806 in Bries/Brezno nad Hronom/Slowakei, + 14.8.1866 in Bad Stuben/Turčianské Teplice/Slowakei
Studium in Preßburg/Bratislava 1822-1827 und Jena 1828-1829. Pfarrer in Altsohl/Zvolen (1830-1832) und Neusohl/Banská Bystrica (1832-1849); Berufung nach Wien 1849; Superintendent in Sv. Martin.
Dr.theol.h.c. Wien 23.9.1862.
Werke: Lehrbuch des allgemeinen und österreichischen evangelisch-protestantischen Kirchenrechts, Wien 1855; Urkundenbuch zum österreichisch-evangelischen Kirchenrecht, Wien 1856; Handbuch des allgemeinen und österreichisch-evang.protestantischen Eherechts, Wien 1860.
Johann Michael Seberiny, Professor für Praktische Theologie und Kirchenrecht 1863-1895
* 16.2.1825 in Schemnitz/Banská Štiavnica/Selmecbánya, + 21.1.1915 in Wien
Studium in Eperies/Prešov (Theologie und Jurisprudenz), Jena, Berlin.
Pfarrer in Deutsch-Pilsen/Nagy-Börzsöny, Egyház-Mároth und Schemnitz, Garnisonsprediger in Wien, Beirat im Reichskriegsministerium (Militärsuperintendent), Theologieprofessor. Dr.theol. 1864 (Rostock).
Werke: Antrittsrede, Wien 1863; Der Pseudo-Protestantismus auf kirchenrechtlichem Gebiete mit besonderer Berücksichtigung der protestantischen Kirchenverhältnisse Österreichs, Wien 1865.
Gustav Adolf Skalský, Professor für Praktische Theologie und Kirchenrecht 1895-1919
* 3.3.1857 in Optatowitz/Optatovice, + 28.1.1926 in Prag.
Studium in Wien und Erlangen, Pfarrer in Vilimov/Böhmen und Groß-Lhota/Mähren, Redakteur der Zeitschrift Evang. Cirkevník und des Kalenders Hus. Berufung nach Wien 1895. Promotion Dr. theol. 1898 (Wien); Mitglied der kgl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften.
Bibliographie: Hus 25 (1917) 86-88; Theologia Evangelica 1951, 187-189.
Werke: Zur Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung in Österreich, Wien 1898
Josef Bohatec, Professor für Systematische Theologie H.B. 1913/1916-1951 und für Kirchenrecht 1919-1951
Josef Bohatec, Professor für Systematische Theologie H.B. 1913/1916-1951 und für Kirchenrecht 1919-1951
* 26.1.1876 in Kochow/Mähren, + 6.6.1954 in Weidenau/Siegerland.
Studium in Wien (Lic.theol.), Prag (Dr.phil.), Halle, Berlin, Erlangen, Habil Bonn 1913. Dr.theol.h.c. Bonn (1916), Dr. jur.h.c. Amsterdam (1950), Dr. theol.h.c. Wien (1951). Ehrenmitglied der Pilgrim Father Society in Leiden/NL, Ehrenprofessor der Ref. Hochschule in Pápa und der Universität Debrecen.
Werke (Bibliographie in: JGPrÖ 99/100 [1983/84] 38-44): Calvin und das Recht, Feudingen/Westfalen 1934, Nachdruck Aalen 1971; Calvins Lehre von Staat und Kirche mit besonderer Berücksichtigung des Organismusgedankens (= Gierkes Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte a.F. 147), Breslau 1937, Nachdruck Aalen 1968; England und die Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte, hrsg. von Otto Weber, Graz-Köln 1956.
Johann Karl Egli, Professor für Systematische Theologie H.B. und Kirchenrecht 1952-1962
Johann Karl Egli, Professor für Systematische Theologie H.B. und Kirchenrecht 1952-1962
* 29.9.1891 in Wien, + 3.10.1975 in Wien
Studium in Wien, Basel und Leipzig, Pfarrer in Wien 1924-1952, 1947 Superintendent, 1949-1952 Landessuperintendent. 1950 Promotion zum Dr.theol.; Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse (1974).
Werke: D.Dr.Dr. Josef Bohatec - der Mann und sein Werk, in: JGPrÖ 71 (1955) 23-65; Kirchenrecht (masch. Skriptum), Wintersemester 1963/64.
Wilhelm Kühnert, Professor für Kirchengeschichte 1948-1970 und Kirchenrecht 1962-1970
Wilhelm Kühnert, Professor für Kirchengeschichte 1948-1970 und Kirchenrecht 1962-1970
* 28.2.1900 in Straßburg/Elsaß, + 18.11.1980 in Wien
Studium der Theologie, Geschichte und Philosophie (Schwerpunkt: Leibniz) in Erlangen, Greifswald, Leipzig, Promotion zum Dr.phil. (1930) und Dr.theol. (1934) in Wien; Habilitation 1947 in Wien.
Festgabe für Wilhelm Kühnert zum 80. Geburtstag, Wien 1980 = JGPrÖ 96/1-3.
Bibliographie in: JGPrÖ 97 (1981) X-XXII.
Wilhelm Dantine, Professor für Systematische Theologie A.B. 1963-1981
Wilhelm Dantine, Professor für Systematische Theologie A.B. 1963-1981
* 6.11.1911 in Leoben, + 21.5.1981 in Wien
Studium in Wien, Bonn, Erlangen. Pfarrer in Wallern/Trattnach, Studieninspektor im Wiener Theologenheim, Promotion 1950, Habilitation 1955. Studentenpfarrer in Wien, Ehrenpromotion Tübingen (1968) und Budapest (1981).
Bibliographie in: Wilhelm Dantine: Protestantisches Abenteuer. Beiträge zur Standortbestimmung der evangelischen Kirche in der Diaspora Europas, hrsg. von Michael Bünker, Innsbruck-Wien-Göttingen 2001, 230-252.
Werke zum KR: Recht aus Rechtfertigung. Ausgewählte rechtstheologische und kirchenrechtliche Aufsätze, hrsg. von Albert Stein, Tübingen 1982.
Christoph Link, Professor für Kirchenrecht 1971-1977
Christoph Link, Professor für Kirchenrecht 1971-1977
* 13.6.1933 in Dresden
Studium der Rechtswissenschaften in Marburg, Köln und München.
Promotion zum Dr.jur. München (1960); Habilitation München (1970). Berufung nach Wien 1971; weitere Lehrtätigkeit in Salzburg (1977-1979), Göttingen (1979-1985) und Erlangen (1985-2001).
Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Göttingen; Dr.theol. h.c. (Wien, Tübingen); Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse (2003).
Werke (Bibliographie in: Gesammelte Abhandlungen, 1549-1573).
Die Grundlagen der Kirchenverfassung im lutherischen Konfessionalismus des 19. Jahrhunderts insbesondere bei Theodosius Harnack, München 1966; Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit. Grenzen der Staatsgewalt in der älteren deutschen Staatslehre, Wien-Köln-Graz 1979; Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, Frankfurt/M. 2000; Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2008/³2017; Gesammelte Abhandlungen zu Geschichte und Gegenwart des Rechts in Staat und Kirche, Tübingen 2020.
Albert Stein, Professor für Kirchenrecht 1978-1984
Albert Stein, Professor für Kirchenrecht 1978-1984
* 13.1.1925 in Kleve/Niederrhein, + 25.3.1999 in Brühl/Rheinland
Studium der Jurisprudenz in Freiburg/Breisgau und der Theologie in Bonn, Promotion zum Dr.jur. 1950, zum Dr.theol. 1965, Habilitation für Praktische Theologie, insbesondere Kirchenordnung (Bonn 1971).
Werke (Bibliographie in: ÖAKR 44 [1995-1997] 478-490; WJTh 2 (1998) 582-588):
Evangelisches Kirchenrecht. Ein Lernbuch, Neuwied 1980/³1992; Pfarrer X und die Gesetze. Rechtskonflikte im Alltag eines Pfarrers, Neukirchen-Vluyn 1977; Pfarrer X und die Kirchenordnung, Neukirchen-Vluyn 1979; Kirchenrecht in theologischer Verantwortung. Ausgewählte Beiträge zu Rechtstheologie, Kirchenrecht und Staatskirchenrecht, hrsg. von Karl Schwarz, Wien 1990; Zweckmäßig arbeiten - sachgerecht entscheiden - sinnvoll leiten. Aspekte kirchlicher Verwaltungsarbeit, Neukirchen-Vluyn 1993.
Festschrift: Andrea Boluminski (Hrsg.): Kirche, Recht und Wissenschaft. Festschrift für Oberkirchenrat i.R. Prof. Dr. Dr. Albert Stein zum 70. Geburtstag, Neuwied 1995.
Günter Sagburg, Supplent (1984-1990) und Honorarprofessor für Kirchenrecht 1990-2000
Günter Sagburg, Supplent (1984-1990) und Honorarprofessor für Kirchenrecht 1990-2000
* 5.10.1928 in Wien, + 29.12.2000 in Salzburg
Studium der Rechtswissenschaften in Wien (Dr.jur. 1951) und am Collège d'Europe in Brügge. Seit 1953 im Bundesministerium für Unterricht, seit 1.1.1954 im Kultusamt, dort Leiter des Referates für evangelische Kultusangelegenheiten bis 1993, Präsident der Generalsynode (1974-1992), Dozent für Kirchenrecht an der Ev.-Religionspäd. Akademie (1964); Mitglied des Revisionssenates der Ev. Kirche (1962).
Werke: Evangelische Kirche, in: Rechtslexikon. Handbuch des österreichischen Rechts für die Praxis, Wien 1966.
Klaus Obermayer, Gastprofessor für Kirchenrecht 1984-1986
Klaus Obermayer, Gastprofessor für Kirchenrecht 1984-1986
* 5.5.1916 in Wiesbaden, + 14.8.1988 in Erlangen
Aktiver Offizier, nach Kriegsende Studium der Jurisprudenz, Promotion und Habilitation in München (1958), Professor in Erlangen für Verfassungs- und Verwaltungsrecht sowie Kirchenrecht (1960-1984).
Werke: Staat und Religion. Bekenntnisneutralität zwischen Traditionalismus und Nihilismus, Berlin 1977.
Karl W. Schwarz, Dozent (tit. Professor) für Kirchenrecht seit 1986
Karl W. Schwarz, Dozent (tit. Professor) für Kirchenrecht seit 1986
* 23.7.1952 in Villach/Kärnten
Studium in Wien, Zürich und Genf, Ergänzungsstudien Kirchen- und Staatskirchenrecht, Osteuropäische Geschichte, Promotion Dr.theol. Wien (1983), Habilitation 1986, Berufstitel Universitätsprofessor 1995, Gastprofessor in Bratislava, Budapest, Leipzig, Klagenfurt, Dr.phil.h.c. Prešov (2009); Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse (2017)
Werke (Bibliographie in: Michael Bünker / Ernst Hofhansl / Raoul Kneucker (Hrsg.): Donauwellen. Zum Protestantismus in der Mitte Europas. Festschrift für Karl W. Schwarz, Wien 2012, 597-618): (Gemeinsam mit Ulrich A. Wien) Edition der Kirchenordnungen der Ev. Kirche A.B. in Siebenbürgen, Köln-Weimar-Wien 2005; (Gemeinsam mit Raoul F. Kneucker) Religionsrecht und Theologie. Das "Wiener Modell", Wien 2014; Von Leonhard Stöckel bis Ruprecht Steinacker. Biographische Perspektiven der Protestantismusgeschichte im Karpatenbogen, Berlin 2014; Der österreichische Protestantismus im Spiegel seiner Rechtsgeschichte, Tübingen 2017; Von Mathesius bis Masaryk. Über den Protestantismus in den böhmischen Ländern zwischen Asch/Aš und Teschen/Tĕšín/Cieszyn, hrsg. von Jan B. Lášek, Prag 2019.
Gustav Reingrabner, Professor für Kirchenrecht 1990-2005.
Gustav Reingrabner, Professor für Kirchenrecht 1990-2005.
* 4.10.1936 in Wien
Studium in Wien, Promotion zum Dr.theol. (1973); Pfarrer in Großpetersdorf, Superintendent in Eisenstadt (1975-1994); seit 1968/1974 Mitglied der Synode und als Mitglied des Rechts- und Verfassungsausschusses an der kirchenrechtlichen Tätigkeit. Habilitation für Kirchenrecht 1986. Großes Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (1987);
Werke (Bibliographie in: JGPrÖ 107/108 [1991/92] 205-214): Zur Entstehung der Verfassung der Ev. Kirche (...), in: JGPrÖ 99 (1983) 129-158; (gemeinsam mit Karl Schwarz) Quellentexte zur österreichischen evangelischen Kirchengeschichte zwischen 1918 und 1945, Wien 1989; Um Glaube und Freiheit. Eine kleine Rechtsgeschichte der Evangelischen in Österreich und ihrer Kirche, Frankfurt/M. 2007.
Raoul Friedrich Kneucker, Honorarprofessor für Kirchenrecht 2004-2017
Raoul Friedrich Kneucker, Honorarprofessor für Kirchenrecht 2004-2017
* 13.2.1938 in Wien
Studium der Jurisprudenz in Graz (Dr. jur. 1961), der Politikwissenschaft an der Brandeis University in Massachusetts/USA, der Verwaltungswissenschaften in Speyer. Universitätsassistent (Verfassungs- und Verwaltungsrecht) in Wien, Generalsekretär der Rektorenkonferenz (1970-1978) und des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (1979-1989), Ministerialrat bzw. Sektionschef im Wissenschaftsministerium.
Dr.h.c. der Webster University Massachusetts/USA; Großes Silbernes Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich; Großes Verdienstkreuz mit Stern der BRD; Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse (2011).
Werke: Bibliographie (bis 2012) in: öarr 60 (2013) 230-238; Gesamtbibliographie in: Gertraud Diem-Wille u.a. (Hrsg.), Europa, Demokratie, Ökumene, Kultur. Festschrift für Raoul Kneucker zum 80. GeburtstagWien-Köln-Weimar 2018, 341-343.
(gemeinsam mit Karl W. Schwarz) Religionsrecht und Theologie. Das "Wiener Modell", Wien 2014; Bürokratische Demokratie, demokratische Bürokratie. Ein Kommentar zu Struktur, Gestalt und System der Bürokratie in Europa, Wien-Köln-Graz 2020.
III. Profile, Programme, Impulse
Die Zeit des selbständigen Instituts für Kirchenrecht und evangelische Kirchenordnung ist nach 34 Jahren 2005 abgelaufen. Der Rückblick auf die zweihundertjährige Geschichte hat aber gezeigt, dass die Verbindung des Kirchenrechts mit einem anderen theologischen Fach (Kirchengeschichte, Praktische Theologie, Systematische Theologie) durchaus praktikabel war und ist. Sie bietet eine didaktische Chance, wenn dadurch ein inhaltlicher Dialog zwischen Praktischer Theologie und Religionsrecht erzielt wird. Dabei mag es ein Akt der Courtoisie sein, wenn es auch in der Institutsbezeichnung (Institut für Praktische Theologie, Religionspsychologie und Religionsrecht) Platz fände, um so wenigstens zu demonstrieren, dass die Sache "Kirchenrecht" nach wie vor zum Fächerkanon der Theologie gehört und als Thema einer Master- oder Doktorarbeit gewählt werden kann.
Das Kirchenrecht spielt im Alltag der pastoralen und pädagogischen Praxis eine große Rolle, wie an einzelnen Zeitfragen mühelos demonstriert werden kann:
- Der sich deutlich abzeichnende Wechsel von der korporativen Religionsfreiheit zur individuellen Religionsfreiheit, am deutlichsten zu ersehen am Beispiel der Krankenseelsorge, wo nicht mehr die staatskirchenrechtliche Garantie des Protestantengesetzes, sondern das religiöse Interesse des Patienten ein Tätigwerden der Krankenseelsorge auslöst.
- In diesem Kontext ist auch die Grundrechtsabwägung von Religionsausübungsfreiheit und Datenschutz zu leisten.
- 1998 wurde das österreichische Staatskirchenrecht/Religionsrecht durch eine gesetzliche Änderung des Anerkennungsverfahrens erheblich tangiert. Es wurden religiöse Bekenntnisgemeinschaften "registriert", die nach Fristenlauf und Prüfung die gesetzliche Anerkennung erlangen konnten/können. Das bedeutete eine beachtliche Auffächerung des religiösen Angebotes im öffentlichen und privaten Raum und erzwang im Unterricht eine differenzierte Sicht der "Sekten", sogenannter "Jugendreligionen" und anderer fremder Religionsgemeinschaften, die ebenso das Grundrecht der Religionsfreiheit für sich in Anspruch nehmen.
- Das Abdrängen des "Karfreitags" aus dem öffentlichen Feiertagskalender in die Privatheit der individuellen Urlaubsgestaltung markiert einen Wendepunkt des österreichischen Religionsrechts - ob durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erzwungen oder durch mangelhafte Vorklärung des Minderheitenschutzes durch österreichische Gerichtsinstanzen verursacht, muss dringend geklärt werden.
- Die Entscheidung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes für die "Ehe für alle" (2019) mit ihren religionsrechtlichen Konsequenzen.
- Die Stellung des Religionsunterrichts einer konfessionellen Minderheit - und die juristischen Möglichkeiten einer Kooperation mit anderen Konfessionen.
- Die Charta Oecumenica (2001) als theologischer Basistext für interkonfessionelle Begegnungen mit den "Freikirchen" und anderen Religionsgemeinschaften.
- Die Charta Oecumenica erzwang auch eine Revision der Beziehungen christlicher Kirchen zum Islam, der in Österreich durch ein neues Islamgesetz (2015) auf neue rechtliche Grundlagen gestellt wurde.
- Kirchliche Tätigkeit unter Asylwerbern - vor dem Hintergrund des staatlichen Asylrechts.
- Eine Reform der kirchlichen Strukturen ist dringend angesagt: dazu sind kirchenrechtliche Kenntnisse unerlässlich.
Zusammenfassend muss klargestellt werden, dass vornehmlich drei Gesichtspunkte für eine Kirchenrechtsausbildung im Rahmen des universitären Studienganges sprechen und den Dialog mit den systematischen und praktisch-theologischen Disziplinen voraussetzen:
- die ökumenische Herausforderung des Kirchenrechts,
- die europäische Herausforderung des Kirchen- und Religionsrechts,
- das staatliche Desinteresse an einer wirkungsvollen Verankerung des Kirchenrechts im Rahmen der Juristenausbildung.
Angeregt durch die Charta Oecumenica ist die Frage nach einer ökumenischen Strukturerweiterung unseres Kirchenrechts mit Dringlichkeit gestellt. Es gibt keinen geeigneteren Ort für den wissenschaftlichen Diskurs dazu als die Theologische Fakultät. Hinzukommt, dass im Rahmen der Juristenausbildung religionsrechtliche Kenntnis im Regelfall nicht mehr erworben wird, sondern auf wenige Spezialisten beschränkt sein wird. Deshalb muss die Kirche ein erhöhtes Interesse daran haben, dass ihre Mitarbeiter über solche Kenntnisse verfügen. Im Blick auf die pastorale Praxis wird auch angeregt, dass Absolventen der Theologischen Fakultät ein Sensorium für Fragen des Familien- und Erbrechts, vielleicht auch des Sozialrechts entwickeln, nicht um komplizierte Fälle zu lösen, aber um als Seelsorger wenigstens in die richtige Richtung weisen zu können. Ein Wahlfach "Rechtskunde" wurde zeitweise sehr gerne angenommen, wobei es darauf ankam, dass die Begegnung von Theologie und Jurisprudenz mit einer zureichenden didaktischen Absicht erfolgt.
Bei allen oben erwähnten Fragen ist der Kontext zum staatlichen Recht gegeben. Doch bleibt zu beachten, dass die Studierenden Nichtjuristen sind und auch nicht eine juristische Ausbildung anstreben. Wenn sie trotzdem mit solchen Fragen konfrontiert werden sollen, so geschieht es, um sie dafür zu sensiblisieren, damit sie wenigstens ansatzweise auskunftsfähig sind und die richtige Fährte einschlagen können, um kompetente Auskunft zu finden. Das Kirchenrecht gewinnt gerade dadurch seinen Reiz, dass es zum Dialog mit den übrigen Disziplinen der Theologie, mit der Rechts- und Sozialphilosophie, mit der Geschichtswissenschaft und mit der Soziologie einlädt und solcherart zum Erkenntnisgewinn beiträgt. Begleitet werden die Studierenden dabei durch die Nachwuchswissenschaftler Maga jur.. Mirjam Katharina Meindl-Hennig, Dr.theol. Leonhard Jungwirth und Mag.theol. Marcus Hütter, die von Raoul Kneucker darauf vorbereitet seit 2017/2018 den Kirchenrechtsunterricht erteilen.
Karl W. Schwarz