Der Papyrologische Kommentar zum Römerbrief

(P. Vindob. K 4728r, © Österreichische Nationalbibliothek Wien)

Das Forschungsprojekt wird vom Österreichischen Wissenschaftsfonds gefördert. Es ist an der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule Wien/Krems angebunden und wird in Kooperation mit dem Institut für Neutestamentliche Wissenschaft der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien durchgeführt.

Papyri

Papyri sind ein in der Antike häufig verwendetes Beschreibmaterial. Das aus dem Mark der Papyruspflanze hergestellte Beschreibmaterial hatte in der Antike eine weite Verbreitung. Gerade aus Ägypten sind große Mengen an Papyri erhalten, die sowohl Literatur (eben auch biblische Texte), als auch Texte aus dem Alltag (Verträge, Briefe, Quittungen, Steuerlisten etc.) überliefern. Die dortigen klimatischen Verhältnisse trugen dazu bei, dass die empfindlichen Texte nicht zerfielen, sondern über Jahrhunderte im Wüstensand überdauerten. Die Österreichische Nationalbibliothek hat beispielsweise eine der bedeutendsten Papyrussammlungen der Welt (Wiener Papyrussammlung) mit mehr als 60.000 Objekten, die mit griechischem Text beschrieben sind und zu großen Teilen noch unveröffentlicht sind. Dass die meisten Papyri noch unveröffentlicht sind, gilt für alle fast alle Papyrussammlungen auf der Welt, beispielsweise in Heidelberg, Berlin, München, Paris, London, Ann Arbor (Michigan/USA) oder Oxford. Für die neutestamentliche Textforschung ist die Papyrussammlung in Oxford von höchstem Stellenwert. 52 der bisher bekannten 127 Papyri mit Text des Neuen Testaments stammen aus dieser Sammlung. Die veröffentlichten Papyri sind zum großen Teil digital zugänglich. Eben diese Texte ermöglichen einen direkten und unverstellten Blick in zahlreiche Alltagssituation der Menschen in der Antike.

Die Papyrologischen Kommentare

Der erste Papyrologische Kommentar zum Neuen Testament erschien im Jahr 2003 (Papyrologischer Kommentar zum Philemonbrief). Inzwischen handelt sich bei den Papyrologischen Kommentaren um eine etablierte wissenschaftliche Reihe im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. Im Rahmen eines vom FWF (Wissenschaftsfonds) geförderten Forschungsprojekts (P36512-G) entsteht der Papyrologische Kommentar zum Römerbrief.

Ziel der Papyrologischen Kommentare ist es, griechische Alltagstexte für das Verständnis und die Auslegung des Neuen Testaments fruchtbar zu machen.

Lebenswirklichkeiten in den Papyri

Lebenswirklichkeiten, die im Neuen Testament begegnen und modernen Menschen fremd sind, sind Teil dessen, was in den griechischen Urkunden aus Ägypten als Teil des täglichen Lebens vorausgesetzt wird. Damals gab es beispielsweise zahlreiche Sklaven, die natürlich auch in den Urkunden erwähnt werden. Sie galten nach Römischem Recht als „belebte Sache“ und konnten damit nicht über sich selbst verfügen. Ein ganzer Brief des Apostels Paulus, der Philemonbrief, dreht sich um das Schicksal des Sklaven Onesimus. Manches in diesem Brief ist unklar. Die gängigen Übersetzungen erwecken den Eindruck, als ob Paulus dem Philemon – dem Eigentümer des Sklaven – zwar sagen könnte, was er zu tun hat, aber lieber bitten möchte (vgl. Phlm 8f [Lutherbibel 2017]): „Darum, obwohl ich in Christus alle Freiheit habe, dir zu gebieten, was zu tun ist, 9 will ich um der Liebe willen eher bitten, so wie ich bin […].“ Der Eindruck, dass es sich hier um eine komplizierte Argumentation handelt, wird durch papyrologische Belege in Frage gestellt. Das Wort, das als moralische Aufforderung verstanden wird, betrifft in papyrologischen Belegen erst einmal das Eigentum. Auch im Deutschen ist es nur ein kleiner Unterschied, ob „etwas mir gehört“ oder ob „etwas sich für mich gehört“. Falls also die papyrologischen Belege aus dem Alltagsgebrauch der Sprache zum Verständnis des Philemonbriefes herangezogen werden, würde man hier folgendermaßen übersetzen: „Darum, obwohl ich in Christus alle Freiheit habe, dir Anordnungen bezüglich Deines Eigentums zu geben, will ich um der Liebe willen eher bitten, so wie ich bin […].“ Das „Eigentum“ ist natürlich Onesimus, der dem Philemon gehört. Paulus nimmt sich das Recht heraus, dem Philemon in sein Eigentum hineinzureden. Diese im Jahr 2018 veröffentlichten Beobachtungen zeigen, welche Möglichkeiten diese papyrologischen Quellen für das Verständnis des Neuen Testaments bieten können. Auch vermögensrechtliche Fragen begegnen in den auf Papyrus überlieferten Texten. Dabei können durchaus auch Frauen Rechtsakte setzen. Dies zeigt ein koptischer Papyrus (P. Vindob. K 4728r) aus der Österreichischen Nationalbibliothek. Dies ist beispielsweise im Hinblick auf  die im letzten Kapitel des Römerbriefes gegrüßte Junia (Röm 16,7) – die lange Zeit für einen Mann gehalten worden war – von Interesse.

Das Forschungsprojekt

Das vom FWF geförderte Projekt hat eine Laufzeit von vier Jahren. Es dient – wie bereits der Projekttitel andeutet – der Kommentierung des Römerbriefes im Licht der auf Papyrus überlieferten Alltagstexte.

Beim Römerbrief handelt es sich um einen der wichtigsten – wenn nicht sogar um den wichtigsten – Brief des Apostels Paulus. Er ist wohl auch der am häufigsten kommentierte Brief des Völkerapostels. Gerade deshalb ist ein neuer Blick mit Hilfe bisher nur wenig berücksichtigter Quellen ein spannendes Forschungsvorhaben. Im Rahmen der Forschungen wird sich zeigen, inwieweit die Papyri das bisherige Verständnis des Textes bestätigen und inwiefern sie ein kritisches Potential entfalten, das an einzelnen Stellen – wie beim oben erwähnten Philemonbrief – eine neue Sicht auf den Text ermöglichen.

Projektleitung: